Folge 12 mit Landtagspräsidentin Muhterem Aras, MdL

Shownotes

Neue Folge des Podcast der Beauftragten der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen / Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen am 5. Mai

Simone Fischer im Gespräch mit Landtagspräsidentin Muhterem Aras, MdL, sie sagt: „Menschen mit Behinderungen bringen eine wichtige Perspektive in die Politik, Wirtschaft und unsere Gesellschaft ein.“

Die Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Simone Fischer, spricht in der neuen Folge ihres Podcast „Beteiligung schafft Gesellschaft. Einfach Inklusion“ mit Landtagspräsidentin Muhterem Aras, MdL. Sie macht deutlich, dass gesellschaftliche Vielfalt, Akzeptanz und die gleich-berechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Themen sind, die von großer Bedeutung sind.

Landtagspräsidentin Muhterem Aras sagt: „Inklusion ist Menschenrecht und eine Haltung, die den Blick verändert, mit welchem wir auf unsere Gesellschaft sehen.“ Dennoch seien Menschen mit Behinderungen in unserem Land noch an vielen Stellen benachteiligt. „Wenn wir auf eine inklusive Gesellschaft hinarbeiten, müssen wir feststellen, dass Menschen mit Behinderungen in Politik und Wirtschaft noch zu ge-ring vertreten sind. Wir brauchen die Perspektive der Vielen und dazu gehören selbstverständlich Menschen mit Behinderungen.“ Wenn sie mit am Tisch sitzen, sei ihre wertvolle Perspektive eingebracht und man könne noch besser daran arbeiten, gesellschaftliche Strukturen zu verbessern, um Benachteiligung, Ausgrenzung und Diskriminierung zu verhindern, so Aras. Deshalb wolle sie Menschen mit Behinderungen ermutigen, sich politisch zu engagieren.

Auf die Frage, was die Landtagspräsidentin sich wünscht, das bis zum Ende der Legislaturperiode des Landtags 2026 erreicht sein soll, erklärt Aras: „Ich setze mich unter anderem dafür ein, dass die Politik und der Landtag die Gesellschaft besser widerspiegelt als heute.“ Der nächste Landtag solle weiblicher, jünger und diverser werden. Dazu habe der Landtag kürzlich das Wahlrecht geändert. Ziel müsse es zudem sein, im Bereich regenerative Energien in Baden-Württemberg weiter voran-zukommen. Sie wünsche sich eine Umwelt, eine Mobilität und ein soziales Umfeld, in der sich alle Menschen zugehörig fühlen, egal ob mit oder ohne Behinderungen, ob sie aus dem Ausland kommen oder seit Generationen hier leben, welches Ge-schlecht sie haben, welche sexuelle Orientierung, welche Ethnie oder Religion. „Ich wünsche mir, dass wir eine Gesellschaft haben, in der alle gleichberechtigt sind, dass beispielsweise Menschen mit Behinderungen ganz selbstverständlich im Parlament sitzen und vielleicht auch auf der Regierungsbank.“

Im Gespräch berichtet Muhterem Aras auch von ihrer spannenden Aufgabe als Politikerin und Präsidentin, über die Arbeit im Landtag, unser wunderbares Grundgesetz und seinen Wert. Dabei stellt sie insbesondere Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Eindrücklich schildert sie, welcher Schatz unsere Verfassung darstellt, wie wichtig es bleibt, diesen zu wahren und sich für diese Rechte stark zu machen. Darüber im Gespräch zu sein, auch Debatten zu führen und schließlich für dieses Geschenk einzustehen, liege ihr sehr am Herzen.

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00:00:00: Simone Fischer: Heute ist Landtagspräsidentin Muhterem Aras zu Gast. Ich freue mich sehr und es ist wunderbar, dass Sie sich die Zeit nehmen. Schön, dass Sie da sind.

00:00:07: Muhterem Aras: Hallo, liebe Frau Fischer, auch ich freue mich sehr auf das Gespräch, weil es ein wichtiges Thema ist. Außerdem ist es immer inspirierend, sich mit Ihnen zu unterhalten.

00:00:18: Simone Fischer: Ja, das geht mir genauso, vielen Dank. Liebe Frau Aras, Sie sind 1966 in Anatolien in der Türkei geboren und sind verheiratet, haben zwei Kinder.

00:00:29: Als 12-Jährige kamen Sie mit Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern nach Filderstadt, wo Ihr Vater bereits lebte und arbeitete.

00:00:37: Das Abitur und Studium haben Sie in Stuttgart gemacht. Hier leben und arbeiten Sie auch. Seit Mai 2011 sind Sie Abgeordnete im Landtag von Baden-Württemberg

00:00:47: für Bündnis 90/Die Grünen, für den Wahlkreis Stuttgart I, und seit Mai 2016 Landtagspräsidentin. Sie haben die Debattenreihe "Wertsachen" ins Leben gerufen,

00:00:59: "Wertsachen: Was uns zusammenhält". Um was genau geht es denn in dieser Reihe? Und was war Ihre Motivation?

00:01:08: Muhterem Aras: Also ich bin wirklich sehr, sehr froh, dass ich in diesem wunderbaren, weltoffenen, liberalen Rechtsstaat lebe, mit diesem Grundgesetz.

00:01:20: In diesem Grundgesetz sind wirklich sehr wichtige Bürgerrechte verankert, beispielsweise Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

00:01:31: Ich finde, diese Normen sind so entscheidend, so wichtig. Und ich würde gern Debatten darüber führen, damit man sich noch mal bewusst macht, welchen Schatz

00:01:44: wir eigentlich in der Hand halten, mit diesem Grundgesetz und mit den Bürgerrechten, die darin erfasst sind. Deshalb war es mir wichtig,

00:01:56: eine Debatte darüber zu führen - und auch darüber zu führen: Was sagen uns diese Grundgesetzartikel heute? Woher kommen sie?

00:02:06: Warum beginnt das Grundgesetz mit dem 1. Artikel: Die Würde des Menschen ist unantastbar? Diese Debatte wollte ich anstoßen und auch daran erinnern,

00:02:19: ja, mich daran beteiligen, zu sagen: Leute, das ist so ein Schatz, den wir haben, dieses Grundgesetz, mit diesen wunderbaren Werten,

00:02:30: das ist nicht vom Himmel gefallen. Und es liegt an uns, diese Werte zu verteidigen, zu schützen, wenn sie angegriffen werden.

00:02:40: Und dass es eben nicht selbstverständlich ist. Wir erleben es gerade weltweit: Menschen, die ein freies Wahlrecht haben wollen oder fragen: Wie frei kann ich mich als Frau kleiden? Muss

00:02:55: ich ein Kopftuch tragen und wie muss es getragen werden? Dass Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen, um in Freiheit zu leben, um selbstbestimmt zu leben. Und wir haben das.

00:03:09: Und ich finde, es wird nicht genug wertgeschätzt. Diese Debatten wollte ich anstoßen und mit Menschen ins Gespräch kommen.

00:03:19: Simone Fischer: Eine ganz starke Motivation und eine ganz starke Aussage, die auch ein Stück weit für mich widerspiegelt, was die Inklusion ausmacht.

00:03:30: Also wie Sie beschrieben haben: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und das gilt für alle Menschen, unabhängig von irgendwelchen Merkmalen und Hintergründen.

00:03:41: Muhterem Aras: Genau. Deshalb ist dieser Artikel eigentlich der entscheidende, von dem sich alles andere ableitet.

00:03:47: Und, wie Sie es gesagt haben: Es gilt für alle Menschen, unabhängig vom Alter, Herkunft, Ethnie. Man muss sie sich auch nicht verdienen,

00:03:56: sondern Würde hat jeder Mensch. Und ich würde mir wünschen, dass wir diesen Artikel immer im Hinterkopf haben, auch in schwierigen Debatten,

00:04:07: wenn man sich manchmal ärgert über den anderen oder so, dass man sich immer wieder daran erinnert: Achtung, die Würde des Menschen ist unantastbar.

00:04:18: Simone Fischer: Ihre sichtbarste Aufgabe ist ja die Sitzungsleitung als Landtagspräsidentin. Welche Aufgaben haben Sie denn noch und

00:04:24: welche macht vielleicht auch am meisten Freude? Muhterem Aras: Also ich sag mal so: Als Landtagspräsidentin habe ich tatsächlich drei Bereiche.

00:04:34: Einmal die Sitzungsleitung, das ist das Sichtbarste, das kann sich jeder vorstellen. Da sage ich immer: Als Sitzungsleitung habe ich eine Rolle,

00:04:44: die vergleichbar ist mit der der Schiedsrichterin auf dem Fußballfeld. Das heißt, ich muss darauf achten,

00:04:51: dass Rednerinnen und Redner zu ihrem Recht kommen, dass Redezeiten eingehalten werden, dass Debatten gerne kontrovers und zugespitzt geführt werden,

00:05:00: aber immer respektvoll und anständig. Auch hier gilt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist die eine Aufgabe.

00:05:08: Der zweite Bereich ist, dass ich als Landtagspräsidentin auch Chefin der Landtagsverwaltung bin. Wir haben rund 240 Beschäftigte in der Landtagsverwaltung,

00:05:21: die sehr oft im Hintergrund arbeiten. Die sind weniger sichtbar. Aber ohne diese Menschen in der Verwaltung

00:05:28: würde ganz viel gar nicht laufen. Deshalb sind diese Menschen auch sehr wichtig für den parlamentarischen Ablauf und

00:05:35: für die Herzkammer der Demokratie, sage ich mal. Und der dritte Bereich ist, dass ich viel im Land unterwegs bin, in Schulen, in Gemeinden. Ich halte

00:05:46: Vorträge, eröffne Ausstellungen oder besuche Gedenkstätten, Erinnerungsstätten. Und da geht es mir immer darum, mit Menschen ins Gespräch

00:05:54: zu kommen, werben für unsere parlamentarische Demokratie, dafür werben, dass man sich einbringt, dass der Staat kein Neutrum ist, sondern dass wir alle

00:06:05: zusammen den Staat bilden und dass auch wir ... Das Grundgesetz geht ja vom mündigen Bürger, von der mündigen Bürgerin aus.

00:06:13: Ich finde, wir sollten uns auch immer wieder fragen, als Staatsbürgerin und Staatsbürger: Was kann ich dafür leisten, meinen Beitrag dazu tun, dass wir uns weiterentwickeln in

00:06:25: Richtung mehr Vielfalt, mehr Inklusion, ein besseres Miteinander? Das sind die Themen, für die ich stehe und die ich als Landtagspräsidentin parteiübergreifend mache.

00:06:37: Es geht um Themen wie "Heimat": Wer gehört dazu? Ist Heimat inklusiv oder eher ausgrenzend? Es geht um das Grundgesetz.

00:06:48: Also letztendlich geht es darum: Werben für die parlamentarische Demokratie, Lust machen auf Demokratie. Simone Fischer: Ja, ein wunderbarer Job, kann ich mir vorstellen (lacht).

00:06:57: Muhterem Aras: Ja, ich finde dieses Amt tatsächlich sehr, sehr erfüllend. Ich mache es sehr gerne, mit sehr viel Leidenschaft,

00:07:09: weil ich es grandios finde, überparteilich an ganz grundsätzlichen Themen zu arbeiten: Was hält eine Gesellschaft zusammen?

00:07:20: Warum sollten wir uns an dem Grundgesetz orientieren? Warum ist das unser Kompass? Das ist quasi die Hausordnung unserer Gesellschaft,

00:07:32: so kann man es sich auch vorstellen. Und deshalb sind es diese Themen, die mir wirklich sehr viel Freude machen, die auch Sinn machen.

00:07:41: Die Arbeit ist auch wirklich sehr erfüllend und sinnstiftend. Deshalb mache ich das wirklich mit Leidenschaft.

00:07:49: Simone Fischer: Sie haben gerade beschrieben, dass wir alle, Bürgerinnen und Bürger, dazu aufgerufen sind, etwas beizutragen, auch Verantwortung zu übernehmen.

00:07:59: Wenn ich auf die Belange von Menschen mit Behinderung blicke, dann erlebe ich ganz oft das Thema: Wie können Menschen mit Behinderung noch

00:08:07: besser und vor allem gleichberechtigt teilhaben? Und ganz oft erlebe ich das dann eher in so einer Rolle, eben auch so dieses:

00:08:15: Menschen sind eingeladen, sollen teilnehmen, dafür schaffen wir die Voraussetzungen, daran arbeiten wir. Und manchmal fehlt mir dieser Blick,

00:08:24: dass eben auch Menschen mit Behinderung in ihrer Unterschiedlichkeit etwas beizutragen haben, und dass es nicht nur um die Teilhabe geht,

00:08:32: sondern auch um die Teilgabe. Also dass sie auch in diesem Zusammenhang Voraussetzungen brauchen, dass sie sich einbringen können, oder dass wir uns einbringen

00:08:40: können in unserer Gesellschaft, und dazu natürlich auch einladend, willkommen sein, in dem Zusammenhang die Haltungen, aber auch die barrierefreien

00:08:53: Voraussetzungen natürlich, um sich engagieren zu können. In der Politik erlebe ich Menschen mit Behinderung ja an wenigen Stellen.

00:09:05: Ich wünsche mir so sehr, dass wir sichtbarer werden. Ich glaube, wir können uns ein Beispiel nehmen an dem Thema: Wie werden Frauen empowert?

00:09:16: Was hat auch an vielen Stellen in der Integration gut geklappt? Wie erleben Sie denn Menschen mit Behinderung im Alltag,

00:09:25: aber eben auch in der Politik? Muhterem Aras: Also Sie haben natürlich recht. Wie erlebe ich Menschen im Alltag?

00:09:33: Jede Begegnung, die ich bisher mit Menschen mit Behinderung hatte, war unglaublich inspirierend und bereichernd.

00:09:42: Meine letzte Begegnung zum Beispiel: Ich war letzte Woche in der Pestalozzi-Schule in Leonberg. Und ich war total fasziniert,

00:09:50: wie informiert die Schülerinnen und Schüler waren und wie gut sie diesen Austausch vorbereitet hatten. Sie haben teilweise echt Fragen gestellt,

00:10:02: die an sonst keiner anderen Schule gekommen sind. Und da geht man wirklich bereichert raus. Und Sie haben recht,

00:10:13: Führungspositionen, politische Arbeit oder Parlamente sollen ja die Gesellschaft widerspiegeln. Und wenn wir die Gesellschaft als eine inklusive

00:10:23: Gesellschaft denken und uns ausmalen - und nicht nur ausmalen, sondern darauf hinarbeiten sollten und müssen -, dann müssen wir natürlich feststellen,

00:10:34: dass Menschen mit sichtbarer Behinderung, muss man sagen ... Es gibt ja auch unterschiedliche Behinderungen. Die Frage ist: Was ist überhaupt eine Behinderung?

00:10:41: Dann sind die tatsächlich noch sehr gering vertreten in der Politik und auch in der Wirtschaft. Egal in welchem Bereich, man braucht wirklich die Perspektive der Vielen.

00:10:54: Und nur, wenn alle sich als Teil des Ganzen fühlen, repräsentieren wir alle, dann identifizieren sie sich auch mit dem Staat,

00:11:05: mit der Politik, mit den demokratischen Institutionen und übernehmen Verantwortung. Deshalb müssen wir da eigentlich viel offener sein.

00:11:14: Und wenn Menschen mit Behinderung mit am Tisch sitzen, dann bringen sie Sachen ein, wo unsereiner, der oder die keine Behinderung hat, gar nicht auf

00:11:29: die Idee kommt, weil man das gar nicht kennt. Und die Erfahrung habe ich immer wieder gemacht. Also ich hatte beispielsweise das Glück:

00:11:36: Als unsere Tochter - ist schon sehr lange her - in die Schule kam, gab es in der ersten Klasse in der Grundschule ein körperbehindertes Kind, das im Rollstuhl saß.

00:11:47: Und erst war man ein bisschen überfordert, sage ich ganz ehrlich, weil man nicht wusste: Okay, wie gehen wir damit um? Das war ein ganz tolles Mädchen.

00:11:57: Wie gehen wir damit um? Zu Geburtstagen zum Beispiel: Wie organisieren wir das? Oder in der Klasse, wie geht man damit um?

00:12:05: Und ich muss ehrlich sagen: Nach kurzer Zeit war es völlig klar, dass dieses Mädchen ein ganz klarer, fester Bestandteil der Klassengemeinschaft ist.

00:12:17: Da war überhaupt gar kein Unterschied mehr. Für die Kinder war es selbstverständlich. Ich fand es toll, wie sie gelernt haben,

00:12:24: sich auch gegenseitig zu unterstützen. Also es war keine Last für die Klasse, sondern ich bin mir ganz sicher, dass diese Kinder das Privileg hatten,

00:12:36: mit diesem Mädchen einfach eine andere Perspektive kennenzulernen und zu sehen: Wie barrierefrei sind wir wirklich? Erst mal die erste Barriere im Kopf:

00:12:48: Wie legen wir diese Barriere ab? Und dann gehst du in der Stadt ganz anders damit um. Also schon alleine das hat zum Beispiel dazu beigetragen ...

00:12:57: Mir fällt jetzt wieder eine Geschichte ein: Unsere Tochter hat dann in der Oberstufe ihren BOGY in einer Behinderteneinrichtung gemacht,

00:13:06: im "Zentrum für selbstbestimmtes Leben". Und sie ist dann mit einem Rollstuhlfahrer, einem Menschen, der im Rollstuhl saß, durch die Stadt gelaufen.

00:13:18: Und sie hat dann am Abend erzählt: "Mama, das ist so krass! Im Kaufhaus: Wie kommst du in eine Umkleidekabine, wie kommst du da rein? Wie gehst du in die Stadt?"

00:13:27: Sie hat Sachen entdeckt, die ihr noch nie aufgefallen sind, weil sie nicht diese Behinderungen hat. Und deshalb brauchen wir die Perspektive von

00:13:41: möglichst allen. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir wirklich offen sind. Und letztendlich, wenn mehr Menschen mit Behinderung,

00:13:50: auch mit sichtbarer Behinderung, in Führungspositionen sind, in der Öffentlichkeit überhaupt als selbstverständlicher Teil, dann muss man sich nicht irgendwie erst Gedanken

00:14:00: machen: Au, wie komme ich damit klar, bin ich überfordert? Sondern dann sind wir wirklich eine Gesellschaft, die zusammensteht, die zusammenhält und die auch die größten

00:14:10: Herausforderungen zusammen anpacken kann. Da müssen wir hin. Simone Fischer: Dass es selbstverständlich ist in dem Zusammenhang, dass wir einfach sind, wie wir sind, Menschen sind.

00:14:20: Muhterem Aras: Ja! Genau. Jeder und jede von uns, egal welche Behinderung, jede/r von uns ist einzigartig. Und das dürfen wir echt nicht vergessen.

00:14:30: Und wie gesagt, diese Schulbesuche mit den Schülerinnen und Schülern mit Behinderung finde ich so faszinierend. Und auch sonst: Die stellen wirklich Fragen und sind

00:14:41: super informiert. Die haben mir wirklich Fragen gestellt zu Politikerinnen und Politikern,

00:14:47: da fällt es mir schwer, obwohl ich in der Politik professionell arbeite, mir die Namen teilweise zu merken, schwierige Namen und so, da war ich echt fasziniert.

00:14:57: Simone Fischer: Ich finde auch. Das, was Sie beschreiben, zeigt ja: Sichtbarkeit in der Gesellschaft, im Alltag, in Führungspositionen,

00:15:05: in der Politik schafft ja auch Akzeptanz und Normalität. Und deshalb bin ich auch so überzeugt, wenn wir gemeinsam aufwachsen als Kinder, dass es dann

00:15:16: auch selbstverständlicher ist, als später erlernen zu müssen und wenig Erfahrungen zu haben, was es bedeutet. Und wenn ich dann als Arzt, als Sachbearbeiterin,

00:15:27: als Unternehmensführung mit Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zu tun habe, dass es dann eben auch selbstverständlicher ist, Chancen zu

00:15:36: ermöglichen und zu eröffnen. Muhterem Aras: Genau, darum geht es. Nur dann können wir wirklich als Gesamtgesellschaft erstens die Versprechen im Grundgesetz einhalten.

00:15:48: Ich meine, es ist unsere Verfassung, es ist unser Kompass. Und wenn wir das ernst nehmen wollen - und wir sollten es, weil wir es ja zu Recht von anderen erwarten,

00:15:56: die von wo auch immer zu uns kommen, da sagen wir: Das ist unser Kompass, das gilt für alle, daran müsst ihr euch halten.

00:16:03: Dann sollten wir uns in erster Linie auch selber daran halten, das vorleben, was wir in dieser Verfassung haben. Und deshalb ist die Sichtbarkeit wirklich wichtig,

00:16:12: damit man auch wahrnehmbar ist. Ja, es muss nicht vom Glück abhängig sein, ob man als Mensch mit Behinderung weiterkommt oder nicht,

00:16:23: sondern es muss selbstverständlich sein, die Zugänge müssen offen sein. Simone Fischer: Gibt es denn einen Tipp, den Sie einem Menschen

00:16:31: mit Beeinträchtigung geben können, der sich politisch engagieren möchte? Sie haben gerade gesagt, manche Prozesse sind wirklich sehr komplex,

00:16:41: auch manche Hürden in dem Zusammenhang. Aber wenn vielleicht ein junger Mensch mit Lernbehinderung aktiv ist und sich auf den Weg machen möchte,

00:16:51: allgemein vielleicht für junge Menschen? Muhterem Aras: Also ich glaube, das erste Entscheidende ist, dass man sich was zutraut,

00:16:59: dass jeder von uns wirklich einzigartig ist. Alle von uns haben ihre Stärken und Schwächen. Und wir sollten uns nicht auf unsere Schwächen konzentrieren,

00:17:09: sondern auf das, was wir besonders gut machen. Und da gibt es bei jedem und jeder etwas zu entdecken, also sich was zutrauen.

00:17:16: Dann gibt es wirklich vielfältige Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren, oder ehrenamtlich oder gesellschaftspolitisch.

00:17:25: Es fängt an im Verein, in der Schule, in Jugendorganisationen der vielfältigen Parteien, im Gemeinderat.

00:17:33: Und dann natürlich, das muss man auch ganz klar sagen: Politik ist ein sehr langwieriger Prozess,

00:17:40: und manchmal dauert es sehr lange. Manchmal ist es auch frustrierend, weil man die Ziele, die man sich vornimmt, gerne schneller abarbeiten würde

00:17:49: und schneller umsetzen würde. Aber wir leben glücklicherweise in einer Demokratie. Und in der Demokratie muss man für seine Überzeugungen

00:17:58: hinstehen, Mehrheiten organisieren usw. Und wenn man das geschafft hat, dann ist man seinem Ziel ziemlich nah.

00:18:06: Und das kann halt lange dauern. Deshalb: Nicht frustrieren lassen, wenn es nicht sofort klappt, sondern wirklich hinstehen.

00:18:15: Und daher kann ich jeden wirklich nur ermuntern, sich einzubringen, sich einzumischen in unsere Gesellschaft. Und im Übrigen, speziell an junge Menschen:

00:18:27: Nächstes Jahr sind Kommunalwahlen, 2024. Bisher war es schon so, dass junge Menschen ab 16 Jahren wählen konnten, aber sie konnten selber noch nicht kandidieren.

00:18:39: Und derzeit laufen Abstimmungen im Landtag. Es wird ein Gesetz vorbereitet, das hoffentlich dann so rechtzeitig verabschiedet wird,

00:18:49: dass junge Menschen bei der nächsten Kommunalwahl auch tatsächlich selber kandidieren können. Und daher kann ich alle nur aufrufen: Guckt euch

00:19:00: die unterschiedlichen Gruppen, Parteien, Fraktionen im Gemeinderat, in euren Stadtbezirken an. Ich bin mir ganz sicher: Für jeden von euch wird es

00:19:11: auch eine Organisation, eine Partei geben, wo ihr sagt: Ja, da kann ich es mir vorstellen. Und daher: Macht mit. Das macht wirklich nicht nur Sinn,

00:19:23: sondern es macht auch Freude, weil es erfüllend ist, weil man etwas verändern kann. Simone Fischer: Wenn Sie im April 2026 auf die Legislatur des

00:19:35: aktuellen Landtags blicken, auch auf Ihre Zeit als Landtagspräsidentin, was soll sich denn auf jeden Fall erfüllt haben?

00:19:46: Muhterem Aras: Ich hoffe, dass unser nächster Landtag tatsächlich die Gesellschaft besser widerspiegelt als heute. Dazu haben wir ja das Wahlrecht geändert.

00:19:56: Das heißt, der Landtag sollte weiblicher, jünger und diverser sein. Dass das selbstverständlich ist, das wäre das erste Ziel. Würde ich gerne sehen.

00:20:08: Dann, dass wir natürlich im Bereich regenerative Energien wirklich richtig weit gekommen sind. Dass das Land Baden-Württemberg von dem Ziel, CO2-neutral

00:20:20: zu sein, 2026 schon sehr viel erreicht hat. Ich meine, ich will ja nicht illusorisch sein und sagen: Alles erreicht.

00:20:28: Das werden wir in der kurzen Zeit nicht schaffen. Dass wir eine Mobilität haben, eine Umwelt und ein soziales Umfeld, dass sich Menschen wirklich zugehörig fühlen,

00:20:43: egal ob sie irgendwo aus dem Ausland gekommen sind oder seit Generationen hier leben, ob sie eine Behinderung haben oder nicht, welches

00:20:54: Geschlecht sie haben, welche sexuelle Orientierung. Dass wir eine Gesellschaft haben, in der einfach diese Vielfalt gelebt wird,

00:21:05: in der alle Menschen gleichberechtigt sind, in der Bildungsgerechtigkeit nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern oder dem Bildungshaus abhängig ist.

00:21:18: Und dass Menschen mit Behinderung ganz selbstverständlich auch im Parlament sitzen - und vielleicht auch auf der Regierungsbank.

00:21:30: Ein ganz wunderbares Schlusswort und auch wichtige Botschaften an die Gesellschaft in Baden-Württemberg, an uns alle, auch Verantwortung zu übernehmen,

00:21:41: Türen zu öffnen oder Möglichkeiten zu schaffen. Vielen Dank, Frau Aras, für dieses sehr inspirierende Gespräch, viel Erfolg und ganz viel

00:21:54: Energie und Freude auch weiterhin bei Ihrer Arbeit. Muhterem Aras: Vielen Dank Ihnen, liebe Frau Fischer. Ich bin wirklich sehr, sehr froh, dass Sie da sind und dass Sie schauen,

00:22:05: dass wir in diesen wichtigen Bereichen vorankommen. Herzlichen Dank. Simone Fischer: Danke schön.

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